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Diskursethik
 
Im Zuge internationaler Unternehmensaktivitäten ist eine Zunahme interkultureller Differenzen festzustellen. Mit dem Trend zur globalen Integration geht eine gegensätzliche kulturelle Fragmentation einher. Für betroffene Unternehmen stellt sich die Frage, wie sich Konflikte in solchen interkulturellen Überschneidungssituationen regeln lassen.

Konflikte stellen keine objektiven Tatbestände dar, sondern sind durch Wahrnehmungsvorgänge und damit individuelle Wert- und Normvorstellungen bestimmt. Konflikte sind also immer ethischen Ursprungs und resultieren aus dem Fehlen einer einheitlichen Moralvorstellung der Entscheidungsträger. Daher muss in international tätigen Unternehmen ein Orientierungsrahmen von Werten und Normen gefunden werden.

Dazu gibt es prinzipiell zwei verschiedene Ansätze. Bei der Stammlandorientierung erfolgt eine zentrale Vorgabe von ethnozentrisch geprägten Verhaltensstandards, an denen sich die Subeinheiten des Konzerns zu orientieren haben. Die zweite Möglichkeit ist die bewusste Betonung und Akzeptanz der kulturellen Vielfalt in internationalen Unternehmensnetzwerken. Da die jeweiligen lokalen Werte und Normen als Verhaltensorientierung dienen, wird dies als kulturrelativistischer Ansatz bezeichnet. Beide Sichtweisen weisen starke Defizite auf und können keine universell gültige Handlungsanleitung vorgeben. In der betrieblichen Praxis bewegt sich die Konfliktlösungsstrategie meist in dem Spannungsfeld zwischen den zwei Polen Ethnozentrismus und Kulturrelativismus.

Einen universalistischen Ansatz zur Überwindung dieses Problems bietet das von Habermas und Apel entwickelte Konzept der Diskursethik.
Entscheidend für die Diskursethik ist, dass sie Maßstäbe setzt, die nicht auf Traditionen und Religionen aufbauen, sondern Vorgaben macht, die für alle Menschen gelten können. Dies funktioniert aber nur durch den Verzicht auf konkrete Normen, da diese von Menschen verschiedener Kulturen anders wahrgenommen werden. Die Diskursethik bezeichnet eine kommunikative Ethik, die die kommunikative Vernunft als einzige Quelle auszeichnet und lediglich die Regeln des praktischen Diskurses festlegt, in denen Konflikte konsensorientiert und rational gelöst werden.

Letztlich handelt es sich bei der Diskursethik nur um eine Beschreibung praktisch bereits vorhandener Möglichkeiten und Voraussetzungen argumentativer Verständigung zwischen Menschen. Es wird nur ein Verfahren zur Normenfindung empfohlen. Die Betroffenen müssen die konfliktären inhaltlichen Normen selber in den Normenfindungsprozess einbringen. Daraus sollen schließlich konsensfähige Normen resultieren. Bereits in einem praktischen Diskurs festgelegte intersubjektive und interkulturelle Werte und Normen können als Leitlinien für zukünftige Konflikte in eine Unternehmensverfassung implementiert werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Diskursethik ein Konzept ist, welches:
1. auf alle Bereiche des Konfliktmanagements anwendbar ist
2. die ausschließliche Nutzung von Macht als Instrument zur Konflikthandhabung ablehnt
3. wesentlich die Erzielung kooperativer Verhandlungslösungen fördert
4. der Tatsache gerecht wird, dass letztlich jeder Konflikt ethischen Ursprungs ist
5. in der Lage ist, das interkulturelle Dilemma zwischen Ethnozentrismus und Kulturrelativismus zu überwinden

Die Diskursethik gründet auf der Gesinnungsethik von Kant und entwickelt sie im Hinblick auf die Normenbegründung zu einer Verantwortungsethik weiter. Der kategorische Imperativ „(...)handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde“ dient nach Kant zur Überprüfung, ob bestimmte Normen verallgemeinerungsfähig und damit gültig und sittlich sind, und er gilt unabhängig von allen empirischen Einschränkungen (also vor jeder Erfahrung) zu jeder Zeit an jedem Ort. Kant vernachlässigt dabei aber die lebenspraktische, soziale Verständigungsproblematik zwischen den Menschen, die sich nicht aufheben lässt. In diesem Zusammenhang wird vom „geistigen Robinson“ gesprochen, der zwar andere Personen als mündige Partner akzeptiert, sie aber dennoch nicht zu Wort kommen lassen muss, um vernünftige Entscheidungen zu treffen. Daher bedarf es einer Transformation, die die Diskursethik bietet. Sprachphilosophisch transformiert lautet der kategorische Imperativ dann: „Statt allen anderen eine Maxime, von der ich will, dass sie ein allgemeines Gesetz sei, als gültig vorzuschreiben, muss ich meine Maxime zum Zweck der diskursiven Prüfung ihres Universalitätsanspruches allen anderen vorlegen. Das Gewicht verschiebt sich von dem, was jeder (einzelne) ohne Widerspruch als allgemeines
Gesetz wollen kann, auf das, was alle in Übereinstimmung als universale Norm anerkennen wollen“.

Die Diskursregeln lauten:

Beteiligung aller Betroffenen
- jeder von einem Konflikt Betroffene muss am Diskurs teilnehmen können, d.h. Betroffene müssen zu Beteiligten gemacht werden
- Garantie der unbeschränkten Bedürfniseinbringung für jeden

Machtfreiheit
- der Diskurs ist herrschaftsfrei, d.h. Es zählt nur der Zwang des besseren Arguments; weder die Person, Position, Institution noch die Tradition darf den Diskurs beeinflussen (Chancengleichheit)

Zwanglosigkeit
- Verzicht auf Überredungen und Sanktionen

Handlungsentlastung
- die Diskurse müssen von einem unmittelbaren Zeit- und Handlungsdruck entlastet werden

unbeschränkte Information
- allen Beteiligten müssen alle vorhandenen relevanten Informationen zugänglich gemacht werden

Universalierbarkeit
- nur allgemein akzeptierbare Argumente sind gültig

Mündigkeit
- alle Diskursteilnehmer müssen vernünftig, urteilsfähig, und aufrichtig in den Diskurs eintreten

rationale Motivation
- alle Diskursteilnehmer müssen gewillt sein, vernünftig zu argumentieren und alle Gegenargumente unvoreingenommen zu prüfen; der erzielte Konsens muss für alle Beteiligten annehmbar sein

Es nicht zu erwarten und auch nicht möglich, dass die betroffenen Parteien im Konfliktfall sofort und ohne Vorbereitung in einen Diskurs eintreten. Die Initiierung von Diskursen bedarf eines schrittweisen Vorgehens, das in drei Phasen einteilbar ist:

I.Information
Auftreten eines Konfliktes

- Bestimmung von Konfliktursachen
- Identifikation der Bedeutung des Konflikts
- Identifikation und Information der Konfliktparteien
- Klärung der Geltungsansprüche der Konfliktparteien

II.Diskussion
Kommunikatives Handeln

- Abstimmung des Handlungsbedarfs
- Aktivierung der Kommunikationsbereitschaft aller Konfliktparteien
- Prüfung bestehender Leitlinien zur Regelung des Konfliktes
- Diskussion der konfliktären Sachverhalte
- Einigung durch Diskussion => Abbruch
- keine Einigung durch Diskussion => Drei Möglichkeiten:
- Abbruch der Kommunikation, wenn Konflikt von nur geringer Bedeutung
- Strategisches Handeln, wenn keine Aussicht auf konsensuale Regelung besteht
- Austragen des Konflikts durch Wechsel auf die Diskursebene


III.Praktischer Diskurs
- Initiierung des Diskurses
- Anwendung der in der Unternehmensverfassung verankerten Diskursregeln
- Erarbeitung der inhaltlichen Füllung / Interpretation der Diskursregeln
- Generierung geteilter Wirklichkeitskonstruktionen (z.B. Einschätzungen über Risiko,
Eintrittswahrscheinlichkeiten und andere inhaltliche Aspekte des Konflikts, insbesondere die
konkrete Abwägung der Handlungsfolgen)
- Konsensfindung durch Normenfindungsprozess (wichtig dabei: Hineinversetzen in die Situation
des Anderen, Einsicht in das bessere Argument, allgemeine Akzeptanz der Folgen und
Nebenwirkungen, die sich aus der Befolgung der strittigen Norm für die Befriedigung der
Interessen eines jeden Einzelnen voraussichtlich ergeben)
- Entscheidung über Aufnahme der neuen Norm in Unternehmensverfassung und damit Generierung einer neuen Leitlinie

Quelle:
Dirk Ulrich Gilbert, Konfliktmanagement in international tätigen Unternehmen, Verlag Wissenschaft & Praxis, 1998

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Author: Konstantin Baedeker; Published by: Konstantin Baedeker (konstantin)
factID: 125546.1; published on 30 Aug. 2003 18:47
 
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